Ursachen der Schizophrenie                Enträtselung einer Erkrankung     von Frank Sacco

Rezension Karl Abraham: Psychoanalytische Studien II, S. Fischer

Um die Jahrhundertwende, ich meine die um 1900, da war man als Psychiater noch einigermaßen aufgeklärt. Ja, man sprach mit Erkrankten noch über Religion (!)  und seine schädlichen Auswirkungen! Heute umgeht man das „verpönte“ Thema ängstlich. Man habe in Psychotherapiekreisen „schlechte Erfahrungen“ mit der Religion gemacht, sagt dazu  der Psychiatrie-Chefarzt Manfred Lütz.  Es bestehen dort eigene religiöse Ängste. Lieber gibt man teure Neuroleptika, als sich als Arzt zu versündigen – oder gar Patienten religionskritisch zu behandeln. Religionskritik traut man sich nicht. Die könnte ja Sünde sein. Und: Die Kirchen sind ja auch der größte Arbeitgeber der Psychiater. Ja, man schiebt diese Kranken ab: Zum  verursachenden Klerus. Das ist unärztlich und unterlassene Hilfeleistung. „Feigheit“ sei das, meint Sigmund Freud. Ich schicke als Internist meine Alkoholkranken ja auch nicht in die Schnapsfabrik.

Abraham berichtet viel über frühkindliche Sünden. Das „Schuldgefühl ist bei Kindern außerordentlich fein“, so der Autor. Die Sünden  liegen meist auf dem sexuellen Gebiet. Sex ist darum so wichtig in der Psychiatrie, weil er außerhalb des ehelichen Zeugungsaktes zur Sünde erklärt  ist. Und je nach Konstitution wird der eine durch Sündengefühle depressiv, der andere manisch, ein anderer wieder neurotisch. Und wieder andere werden schizophren. Letztere tauchen ab in die sie zunächst rettende Einsamkeit, in die Defektheilung. Es ist ein Teilsuizid. Man schaltet alle Gefühle ab, um bloß das eine Gefühl, die Gott-Angst loszuwerden. Und damit überhaupt noch Leben da ist, bastelt man sich eine Phantasiewelt. Später halluziniert man, wie in jeder Einsamkeit. Dazu gibt es Experimente. Von der als feindlich empfundenen Umwelt nimmt man innerlich Abschied. Es resultiert Verfolgungswahn. Der ist nun ein echter Wahn. Und kein Irrtum. Sexualpartner wird man als Wahnkranker höchstens an sich selbst. „Autoerotismus“ nennt es Abraham.

Im Aufsatz „Über die Bedeutung sexueller Jugendtraumen für die Symptomatologie der Dementia präcox“, also der Schizophrenie, stellt der Autor fest, dass dort „die gleichen psychischen Mechanismen“ wirksam sind, ob nun bei der Neurose oder einer Psychose. Er gibt vier eigene Fälle an.

1. Fall: Eine Patientin wird vom Onkel vergewaltigt. Da ist sie zehn. Sie sagt zuhause nichts von dem Ereignis.  Später wird sie  scheu, zieht sich zurück, will Suizid machen. Erst gab es schreckliche Träume: Nachteulen kamen  und schrien sie an: „Schäm Dich, du bist ja nackt“. „In späteren Zeiten sah sie in wachem Zustand die Hölle.“ Tiger gingen auf weibliche Tiere los. Dann hörte sie Stimmen eines geliebten Verwandten aus dem Himmel. Später war es der Vergewaltiger, der aus der Hölle zu ihr sprach. Man beachte, wie zentral hier die Religion hineinspielt.

2. Fall:  Eine Patientin sollte mit 9 Jahren vergewaltigt werden, konnte sich aber retten. Sie erzählte zuhause nichts. Später kamen Anfälle, in denen die Patientin so schnaufte, wie es der Vergewaltiger während seines Versuches tat. Es stellte sich dann eine klassische Schizophrenie ein.

3. Fall:  Ein Mädchen hatte unter jahrelangem sexuellem Missbrauch vom Vater und dem Bruder zu leiden.  Als sie später vom Ehemann schwanger wurde, bekam sie Visionen, also Halluzinationen: „Ein Stier, dem Vater ähnlich, kam drohend auf sie zu“  und stach nach ihr. Sie halluzinierte den Teufel mit den Zügen ihres Ehemannes.

4. Fall: Die üppig gebaute ältere Schwester eines Zehnjährigen  suchte ihn im Schlafzimmer auf und es gab Zärtlichkeit. Später kommt es zu einem Leistungsabfall und einer Katatonie, also einer motorischen Starre. Als Schizophrener  halluziniert er die Schwester als Christus. Als Ursache der Entwicklung einer Psychose gibt Abraham dann einen „Wahn der Versündigung“ an, den berühmten Versündigungswahn. Da liegt er ebenso falsch wie die heutige Psychiatrie. Das Kind ist ja tatsächlich der Sünde verfallen. Ein Versündigungswahn liegt also nicht vor. Es ist in dem Dogma, dem „Irrtum“ befangen, es gäbe eine Versündigung. 

Sexualität spielt bei psychischen Erkrankungen demnach eine immense Rolle. Das wusste auch Abraham. Das gelte sowohl  für eine  Neurose als auch für die Schizophrenie, also Psychosen. „Selbstvorwürfe sexuellen Inhaltes“ seien oftmals eine „wesentliche Voraussetzung des VERSÜNDIGUNGSWAHNES“ eines Schizophrenen (1, S. 175). Bei einer paranoiden Patientin sei die „Grundlage“ dieses Wahnes eine „lange fortgesetzte Masturbation“ als Kind (S. 178). Hier zeigt sich an Abraham, was die Analytikerin Prof. Leuzinger-Bohleber 2010 sehr richtig anmerkt: ein fehlendes Denken auch bei heutigen Analytikern auf dem Gebiet des  Religiösen (2). Dieses Defizit hält in der Tat bis heute an, wobei es natürlich Ausnahmen gibt – besonders hier im Forum. Katholisch ist nämlich Masturbation eine schwere und zu beichtende Sünde – auch und gerade bei Kindern. Versündigungen finden also religionspsychologisch tatsächlich statt und sind eben kein Wahn. Wer sich sündig fühlt, ist nicht, wie noch heute gelehrt, wahnkrank oder gar schizophren. Er muss nur von Medizinern informiert werden, dass Sünde ein priesterlich erfundener Begriff ist, um gläubig Gemachte in einer Beichte ausfragen und sie damit binden und beherrschen zu können. Onanie ist weder juristisch verboten, noch hat Jesus irgendetwas dagegen, onanierte er als normaler Junge ja selber. Wer die Normalität Jesu anzweifelt, versündigt sich. Der historische Jesus war mehrfacher Vater.

 

 

 

Nahezu jede Art von Sex ist nach dem Dogma Sünde. Gott sei Dank gibt es eine einzige  Ausnahme: Die „reservierte Umarmung“ zwischen Eheleuten. Das ist nach Uta Ranke-Heinemann ein Geschlechtsverkehr zwischen Verheirateten, der aber ohne Orgasmus der Frau und nur zum Zweck des Zeugens eines weiteren Katholiken ablaufen muss (3). Allein diese Unternehmung  muss nicht gebeichtet werden, zumal sie keinen Spaß macht.

Allermeist ist kindliche Sexualität unter Kindern  kein Trauma. Erst durch Intervention eines Entdeckers oder Priesters dieser „Schweinerei“ wird sie zu einem. Denn selbst verdrängter (und daher ungebeichteter) Sex eines Kindes ziehe dann eine ewige Folterstrafe in einer sog. Hölle nach sich, wenn ein angeblich von den Toten auferstandener Nazarethaner an einem sog. „Jüngsten Tag“  die Angelegenheit dem Kind nicht vergebe. Darum fragen ja Priester Kinder so intensiv, ob sie sich unten angefasst hätten! Sie sind in tiefer Sorge. Priester wollen Kinder retten. Denn nur jedes dreißigste von ihnen komme später in den Himmel. Das legte der unfehlbare Augustinus für alle Zeiten fest. Der jetzt verstorbene Hans Küng, der dessen Unfehlbarkeit anzweifelte, wurde aus dem Kirchenamt ausgeschlossen. Ein Nadelöhr ist eng, und der Weg zur Hölle sei breit, so die Bibel. Schmal, steil  und selten  gehe es in einen sog. Himmel.

Fassen wir zusammen: Neurotisch oder psychotisch wird man in der Regel nicht durch einvernehmliche kindliche Sexualität, sondern durch eine in der Regel  verdrängte Höllenangst. Sogar Sigmund Freud spricht von der „Erwartungsangst als Angst vor göttlichen Strafen“, die „Bußhandlungen“, analog „Zwangshandlungen“  bewirken würde (4). Von Hölle spricht Freud in diesem Zusammenhang nie. Denn die Angst davor war auch die seine (5). Warum?  Er glaubte, seine Kindheitsgötter getötet zu haben. Sie seien Wahngebilde, hatte Freud gesagt. Seine dem folgende Gottangst ließ ihn süchtig und krebskrank werden. Die Psychoanalyse sei „vom Teufel“, rief die katholische Kirche dem Todkranken noch nach. Sie ist es , die den krankmachenden Wahn in die Welt setzt, es würde Teufel, einen Heiligen Geist, Hölle, Himmel und eine Auferstehung eines einmal Verstorbenen geben.

Der berühmte Versündigungswahn ist also ein GLAUBENSIRRTUM. Der Angstkranke ist als Opfer frühkindlich der hochintelligenten Politik von skrupellosen Religionsmachern auf den Leim gegangen. Und das trifft auch allermeist auf seinen Therapeuten zu, der die nämliche Angst aufweist. Daher schlägt dessen Therapie  fehl. Statt den Kranken (und auch sich) auf den Boden der Realität und Vernunft, also weg vom falschen Glauben zu leiten, gibt er persönlichkeitsumformende Neuroleptika. Und weist ihn gelegentlich ein. In eine kirchliche Psychiatrie. Ein Perpetuum mobile.

Auch kleinen Patienten muss erklärt werden:  Sie sind  nicht schuldig, aber religiös sündig.  Die Hölle ist keine kinderfreie Zone. Schon Kleinkinder müssen in den Kirchen das Vater Unser beten: „Und vergib uns unsere Schuld“.  Da ein Kind schuldunfähig ist, müsste das Gebet lauten: „Vergib uns unsere Sünde“. Die Sünde ist ein klerikal erfundener Begriff, mit dem der Klerus die Massen  regiert und seinen Geldbeutel füllt, so Nietzsche. Dem ist beizupflichten. Man kann als Kirche nicht früh genug damit anfangen, Sündengefühle in unseren Kleinen zu etablieren. So gibt man ihnen auch regelmäßig die Schuld am Kreuzestod Jesu. Sie seien „Mittäter“ an der Kreuzigung, so Pastor Traugott Giesen. Pfui Teufel. Man macht sie als wirklich Unschuldige zu Meuchelmördern.

Das sexualfeindliche Christentum prägt ein Kind von Anbeginn. Wurde es sexuell missbraucht, entwickelt es ein Sündengefühl. Vom Opfer wird es zum Täter gemacht. Es mag, da es ein sexuelles Wesen ist, zuerst bei dem Geschehen mitgewirkt haben, und wenn es auch nur „mitgegangen“ ist, was es nicht durfte. Auch mag der Sex, so Abraham, „in einer großen Anzahl von Fällen“ vom Unbewussten des Kindes „gewollt“ sein. Das Kind sei dann „dem Reiz des Verbotenen unterlegen“. Und es hat nicht um Hilfe geschrien. Und es hat zuhause nichts erzählt.  Hier gibt der Autor die Textstelle in der Bibel an: 5. Buch Mose, Kap. 22-27:  Hat das in den Sex verwickelte  Mädchen nicht um Hilfe „geschrien“, so soll es gesteinigt werden. Der liebe Gott ist halt manchmal hart. Das weiß ein Kind von seinem  Holocaust Sintflut her. Da hat er alle Kinder lebendig ertränkt. Pfui Teufel!  Was ist das für ein Gott? Und doch: Lieben muss so ein Kind diesen Verbrecher. Das ist sein „höchstes Gebot“. So werden unsere Kinder psychisch missbraucht.

 

 

Was weder Karl Abraham noch seine heutigen Kollegen „wissen“ oder aussprechen: Das Sündengefühl selbst macht nicht krank. Wir nehmen es in der Regel heiter, wenn eine Tat zwar verboten ist, aber nicht bestraft wird. Erst die Angst vor der Strafe macht unsere Kinder krank. Erst die Angst vor der ewigen Verdammnis macht krank. Von der Hölle redet Abraham nicht, wohl aber seine Erkrankten. Jenseitige Folter  war auch die eigentliche Angst des Ödipus. Die ewige Hölle ist festes Dogma beider Amtskirchen. Grausam seien die Kirchen, so die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer zu mir am 17.11.2009.

Aber die Psychiatrie ignoriert das. Bischof Nikolaus Schneider, ehemals Chef der EKD, spricht es im Buch „Von Erdenherzen und Himmelsschätzen“ unbarmherzig aus:  Ein Jesus wird dort mit Feuer foltern. Diese Botschaft der Feuerfolter sei „verstörend“, meint Schneider. In der Tat. Sie produziert Verstörte. Verstörte Kinder. Aber das darf keine Religion. Keine Religion darf krank machen.

Ich habe Schneider wegen Bedrohung angezeigt. Doch er darf weiter Kinder missbrauchen.

Die hauptsächliche und eigentliche Ursache einer Schizophrenie ist in der Regel also ein Glaube, der mit den „Wundern“ Auferstehung und Ewigkeit arbeitet. Ohne Auferstehung ist keine Folter im Jenseits, kdeine Hölle möglich. Man braucht also dieses Wunder. Das Volk fällt auf das Lockmittel Himmel herein und holt sich damit die Hölle ins Hirn. Das ist perfekt gemacht. Beim Klerus sitzt halt beides: die Hochintelligenz und die Skrupellosigkeit. Die Symptome bei einer kirchenbedingten Psychose sind Ausdruck eines Sacco-Syndroms. Die Gesellschaft hat „die Kirchen nicht im Griff“. Das lehrte schon Magnus Hirschfeld, der uns als homosexueller Psychiater schon ca. 1920 darauf hinwies, dass auch die unechte Homosexualität die Folge einer frühkindlichen Sünde auf sexuellem Gebiet ist. Eine Vagina werde  kirchlich  als „Pforte zur Hölle“ geschildert und dann so auch empfunden – und darum so strikt  gemieden. Die Kirchen haben die Sexualität vergiftet. Da die Amtskirchen von Anbeginn ihrer Gründung mit Folter drohen, sind es terroristische Vereinigungen. Bischof Schneider gibt es ja zu: Angstmachen sei ein „Geschäft“ der Kirchen. Es wird Zeit, dem Geschäft ein Ende zu bereiten. Wie? Es gibt andere Organisationen, denen man großzügig beitreten kann. Es gibt andere als christliche Kindergärten.

 

  • Karl Abraham: II. Arbeiten zur psychoanalytischen Empirie
  • Interview Die Zeit, 31. 3. 2010   Glauben und Zweifeln.
  • Uta Ranke – Heinemann: Eunuchen für das Himmelreich
  • Sigmund Freud: Zwangshandlungen und Religionsübungen
  • Frank Sacco: Wenn Glaube krank macht